Zeitzeugen aus Polen zu Besuch an der GBS

Da wir uns im Unterricht der Q3 gerade mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen, hat es sich angeboten, ein sogenanntes Zeitzeugengespräch mit Menschen zu führen, die Hitlers Schreckensherrschaft überlebt haben. Ermöglicht wurde dies dank der Stiftung „Zeichen der Hoffnung“.

Im Unterricht hatten wir bereits viel Vorwissen sammeln können und uns einige angemessene Fragen überlegt, die wir an unsere Gesprächspartner, – nämlich ehemalige Häftlinge verschiedener Konzentrationslager – richten wollten und waren somit sehr gespannt, was uns erwarten würde.

Der ganze 12. Jahrgang hatte sich am Morgen des 14. September 2017 in der Aula versammelt, und wir Schüler, die drei Zeitzeugen, ein evangelischer Pfarrer als Moderator und eine Übersetzerin wurden mit Klängen Chopins, am Klavier gespielt von unserem Mitschüler Nathanael, empfangen. Herr Dr. Buchwaldt begrüßte alle herzlich.

Der Pfarrer stellte uns dann Mariana (78 Jahre alt), Alicia (86 Jahre) und Eugenius (89 Jahre) vor. Alle drei kamen aus Polen und sprachen dementsprechend Polnisch, und nur wenige Worte Deutsch. Alle drei waren überaus freundlich und machten den Eindruck, als seien sie gerne hier, um uns aus ihrer dunklen Vergangenheit zu berichten.

Das Gespräch mit dem Herrn und den beiden Damen wurde durch den Pfarrer geleitet, indem er ihnen Fragen stellte, die die Übersetzerin auf Polnisch übersetzte, dann die Zeitzeugen erzählen ließ, um ihre Antworten anschließend auf Deutsch wiedergeben zu lassen. Unsere drei Gäste wollten uns alles so detailgenau wie möglich berichten, wie es ihre Erinnerung erlaubte.

Dieses Interview dauerte ca. eine ¾ Stunde, während der wir gebannt zuhörten und uns in eine für uns wirklich unvorstellbare Zeit versetzen ließen. Die erste Frage, ob sie sich denn gerne hier in Deutschland aufhielten, nachdem viele Deutsche ihnen in ihren jungen Jahren derart grausame Dinge zugefügt hatten, bejahten alle drei. Anfangs hätten die beiden Frauen große Sorgen gehabt, nach Deutschland zu kommen und seien durch ihre Erinnerungen traumatisiert gewesen; Eugenius aber erzählte stolz, er sei unvoreingenommen gewesen, hätte keinerlei Vorurteile gehabt und könne seit jeher zwischen guten und bösen Menschen unterscheiden. Alle drei fühlten sich von Anfang an herzlich willkommen und aufgenommen in Deutschland.

Eugenius erzählte, er komme aus Warschau, wo es viele jüdische Zentren gab, und dass seine sehr religiöse Familie viel Kontakt zu Juden gepflegt und sogar einen Juden namens Jan Petruschka versteckt gehalten habe. Ein „Freund“ aus der Nachbarschaft aber habe das Geheimnis verraten, woraufhin Eugenius als 15jähriger zusammen mit seiner ganzen Familie verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht wurde.

Die Verhaftungsgründe der beiden Frauen waren die Folgenden: Alicia war als Halbwaise aufgewachsen und lebte zusammen mit ihrer Mutter in Warschau, wo sie den 1. Warschauer Aufstand am 1. August 1944 miterlebte, bei dem sich die polnische Armee gegen die deutschen Besatzungstruppen auflehnte. Mutter und Tochter waren an den Protesten aber nicht beteiligt, sondern wurden nichts ahnend mit allen Zivilisten, die sich zu diesem Zeitpunkt am Ort des Geschehens befanden von deutschen Soldaten verschleppt und in Konzentrationslager gebracht. Mariana wurde als 4-jähriges Mädchen gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter am 12. Dezember 1941 in ein Konzentrationslager eingeliefert. Ihr Vater war als Pole in Hamburg geboren worden, habe sich aber geweigert, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, was der ausschlaggebende Grund für die Verhaftung der Familie gewesen war. Mariana erzählte uns, dass sie sich, obwohl sie noch sehr klein gewesen war, an alles Schreckliche, was ihr widerfahren ist und was ihr angetan wurde, erinnern könne, und dass sich diese Erinnerungen für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt hätten.

Sie war von Mutter und Großmutter getrennt und in eine extra Baracke gebracht worden, in der sich alle Kinder unter 14 Jahren befanden. Jedes musste ein Schild mit einer Nummer um den Hals tragen. Die Kinder wurden von ihren Aufsehern geschlagen und gequält, und es wurden grausame Experimente an ihnen durchgeführt. Den Kindern war es verboten zu weinen, sonst wurden sie geschlagen. Alle drei Zeitzeugen berichteten einstimmig, dass das, was sie am meisten gequält habe, die Ungewissheit gewesen sei, ob ihre Verwandten, mit denen sie eingeliefert worden waren, überhaupt noch am Leben waren; der beißende Geruch der Leichenverbrennung sei allgegenwärtig gewesen. Lediglich Alicia konnte ihre Mutter manchmal heimlich durch den Zaun sehen und bekam Essen auf die andere Seite gereicht und tröstende Worte zugesprochen.

Mariana wurde nach langen 2 Jahren und 8 Monaten gemeinsam mit ihrer Großmutter am 21. Januar 1945, also circa 3,5 Monate vor Kriegsende, befreit. Eugenius war während des Krieges in mehreren KZs inhaftiert und wurde am 9. April 1945 befreit. Alicia berichtete, dass ihre Großmutter mit ihr nach der Befreiung durch die Amerikaner so schnell wie möglich die Front verlassen habe und auf eigene Faust Richtung polnischer Grenze gezogen sei; einen Monat später wollte es das Glück, dass es auch Alicias Mutter zu einem verabredeten Treffpunkt schaffte – sie hat allerdings in ihrem weiteren Leben kein Wort mehr über diese Zeit gesprochen. Es sei bis heute schwer, mit ihrer Vergangenheit zu leben, sagen alle drei Zeitzeugen, und mit ihren Verwandten haben sie nie viel darüber gesprochen, was sie in den Konzentrationslagern erlebt hatten.

Nach der ersten Fragerunde, hatten wir die Möglichkeit, Fragen an Eugenius, Alicia und Mariana zu stellen, zum Beispiel: Was ist die schlimmste Erinnerung an die Zeit im KZ? Gab es etwas, das Mut gemacht hat? Wie kann man im Nachhinein damit umgehen, und wie haben sich die Eltern danach verändert? Auf diese und weitere Fragen antworteten alle drei gerne und ausführlich. In unseren Einzelgesprächen nach der offenen Fragerunde gingen sie aber noch tiefer ins Detail, und die Fragen wurden noch ein bisschen persönlicher und im kleinen Kreis beantwortet.

Eine der für mich persönlich interessantesten Fragen an unsere Gäste war, ob es ihnen möglich sei zu verzeihen, beziehungsweise wie sie reagieren würden, wenn sie einen ihrer Peiniger auf der Straße wiedertreffen würden. Eugenius antwortete darauf ganz klar mit „ja“, was uns alle sehr überraschte. Er halte am Gebot der Nächstenliebe fest, sagte er ganz überzeugt. Alicia war dagegen ganz anderer Meinung: Sie hätte sich auf jeden Fall an ihrer damaligen Aufseherin rächen wollen! Mariana antwortete auf diese Frage, dass sie es nun einfach genieße, in Frieden zu leben, und dass sie, wenn sie jemandem aus ihrer KZ-Zeit über den Weg laufen würde, die Person einfach ignorieren würde.

Am Ende dieses Vormittags waren wir alle höchst beeindruckt davon, was diese Menschen schon als Kind haben durchmachen müssen, und wie selbstbewusst und aufrecht sie dagegen heute vor uns gestanden haben.
Elise Steinbrenner, Q3