Professor Dr. Frank Nonnenmacher zu Gast in der Gutenbergschule

Am 21.5.2015 hatte die GBS die große Freude, Herrn Dr. Frank Nonnenmacher, Professor für Politische Bildung in Frankfurt, begrüßen zu dürfen.
Herr Nonnenmacher war einer Einladung der Schule gefolgt, aus seinem Buch „Du hattest es besser als ich – Zwei Brüder im 20. Jahrhundert“ zu lesen.
An der Veranstaltung nahmen die gesamte Q2 sowie Kollegen und Eltern teil.
Der Autor gab zu Beginn Einblicke in seinen Lebenslauf und erklärte sein Motiv, sich mehr als 40 Jahre mit zwei außerordentlich spannenden Biografien beschäftigt zu haben, nämlich der seines Vaters und der seines Onkels. Sein Erkenntnisinteresse definierte sich dabei einerseits durch die Neugierde als Politikwissenschaftler, andererseits durch sein Interesse an den völlig unterschiedlichen Lebenswegen des Vaters sowie des Onkels.
Nonnenmacher lässt die Geschichte mit der Geburt von Ernst Nonnenmacher (dem Onkel) im Jahre 1908 beginnen, 1914 wird Gustav (der Vater) geboren – beide Schwangerschaften sind ungeplant und bringen die Mutter Margarethe in große Bedrängnis, so dass der Zweitgeborene schließlich ins Waisenhaus gegeben wird. Die beiden Brüder wachsen folglich nicht gemeinsam auf, wissen lange sogar nichts von der Existenz des anderen, ihre Lebenswege verlaufen sehr unterschiedlich – und es ist gerade diese Unterschiedlichkeit, die den Leser bzw. den Zuhörer fasziniert.
Das Publikum erfährt, dass Ernst als „Asozialer und Wehrunwürdiger“ mit dem von der GeStaPo 1941 nach einer Gefängnisstrafe für weitere vier Jahre in die KZs Flossenbürg und Sachsenhausen gebracht wird. Dort ist er mit dem „schwarzen Winkel“, einem Stoffdreieck, das an der gestreiften Häftlingskleidung angebracht wurde, zur Vernichtung durch Arbeit“ in einem Steinbruch vorgesehen. Er überlebt, jedoch wird ihm nach dem Krieg die Anerkennung als Opfer des Faschismus verweigert, was ihn tief enttäuscht. Nach geltender Rechtsprechung saß er bis heute „zu Recht“ im KZ. Er beginnt als Asphaltarbeiter in Frankfurt und heiratet 1957 eine Russin. Nach deren Tod wendet sich Ernst allmählich der Kulturszene zu, engagiert sich besonders im „Unterhaus“ in Mainz, wo er auch Konstantin Wecker kennenlernt, der schließlich das Lied „Sturmbannführer Meier“ für Ernst Nonnenmacher und eine Widmung für das Buch von Frank Nonnenmacher schreibt.
Ganz anders verläuft das Leben des Bruders: Gustav soll als Jahrgangsbestem ein Studium mit Stiftungsgeldern ermöglicht werden, jedoch vernichtet die Inflation das Stiftungskapital, so dass er eine Lehre als Holzbildhauer beginnt. Erst mit 18 Jahren erfährt er – der im Waisenhaus groß wurde – von der Existenz seiner Mutter und seines Bruders, der Kontakt bleibt flüchtig. Im Krieg muss Gustav JU52-Pilot werden, er überlebt mehrere Abstürze, nach Kriegsende will er nie mehr fliegen. Er gründet eine Familie und arbeitet als Bildhauer und freischaffender Künstler in Worms, wobei seine pazifistische Haltung seine Werke nachhaltig prägt, beispielsweise durch antimilitaristische Mahnmale.
Frank Nonnenmacher macht deutlich, dass das vorliegende Buch in dieser Form nur entstehen konnte, da zuerst sein Vater Gustav und schließlich auch sein Onkel Ernst bereit waren, sich den Fragen ihres Sohns bzw. Neffen zu stellen. Die Antworten auf die generationentypische Frage: „Was habt ihr damals gemacht?“ waren es, die zusammen mit den Fakten der Zeitgeschichte letztendlich dieses Buch ermöglichten.
Das Buch umfasst 345 Seiten, was bei einer Vortragszeit von 90 Minuten, gleichzeitig aber einer unglaublich dichten Darstellung der Geschehnisse eine deutliche Auswahl verlangt – dies ist Herrn Dr. Nonnenmacher in hervorragender Art und Weise gelungen.
Die Schülerinnen und Schüler verfolgten konzentriert und gebannt die Lesung. Während der sich anschließenden Frage- und Diskussionsrunde zeigte sich deutlich, dass sie nicht nur die Problematik und das Geschehen aufgrund der ausgewählten Textstellen und der überbrückenden Erzählungen verstanden hatten, sondern dass sie auch gerne die Gelegenheit nutzten, den Autor selbst zu unterschiedlichsten Aspekten zu befragen.
Einen kleinen Überblick sollen die folgenden Schülerfragen bieten:
– Was bedeutet der Titel?
– Welcher der beiden Brüder hatte es nach Meinung des Autors besser – und warum?
– Was bedeutet die Skulptur auf dem Cover?
– Gibt es trotz der engen verwandtschaftlichen Beziehung eine Distanz des Autors zu den Protagonisten?
– Warum wurden bestimmte Teile mit dem Hinweis, sie seien zu ‚hart‘ oder sie gingen dem Autor zu nah, nicht vorgelesen?
– Wie sieht der Autor die ‚Schuldfrage‘ in Bezug auf die heutige Generation?
– Hält er es für legitim – vor dem Hintergrund des Holocausts – die Politik Israels zu kritisieren?
– Ist er ‚stolz‘ Deutscher zu sein?
– Glaubt der Autor, die heutige Jugend sei zu wenig sensibel für die Gefahren eines neuen Nationalismus?
– Welches Ziel verfolgt er mit solchen Veranstaltungen wie der in der GBS?
– Wie hat sich die Recherche gestaltet?
– Wie war die Haltung der betroffenen Frauen – insbesondere der Mutter- zum Geschehen?
– Wie ging das Leben Onkel Ernsts nach dem Krieg weiter?
– Deutscher, Europäer, Weltbürger – worin liegen die Unterschiede jeweiliger Positionierungen?
Die Antworten Herrn Nonnenmachers lösten lebhafte Debatten und weitere Nachfragen aus. Als die Veranstaltung um 13.15Uhr endete, äußerten einige Schülerinnen und Schüler, dass sie es begrüßt hätten, wenn es für Interessierte möglich gewesen wäre, mit Herrn Dr. Nonnenmacher in kleinem Kreis weiter zu diskutieren – der Hinweis zeigt, dass die Veranstaltung auf großes Interesse gestoßen ist und dass vermutlich in den folgenden Unterrichtsstunden von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, das Gehörte –dem Fach entsprechend – in den Unterricht zu integrieren und zu vertiefen.
Die Buchhandlung Vaternahm hatte uns einige Buchexemplare zur Verfügung gestellt, die alle einen Besitzer fanden und signiert wurden.
Unser großer Dank gilt Herrn Dr. Nonnenmacher, der zu dieser Lesung aus Frankfurt zu uns kam – und dies ohne ein Honorar zu nehmen!
Danke auch allen, die im Hintergrund zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben!
Zum Schluss freut es mich besonders, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass sich die Schulleitung der GBS dazu entschlossen hat, als Buchgeschenk für die Abiturienten, die mit 1.0 in diesem Jahr ihre Prüfungen abgeschlossen haben, das Buch von Herrn Dr. Nonnenmacher auszuwählen.
Es wurde ihnen am Sonntag, d. 21.6.2015 im Rahmen der Akademischen Feier in der Lutherkirche Wiesbaden verliehen – herzlichen Glückwunsch und viel Spaß beim Lesen!

Gudrun Zitzke-Klöckner